ADHS: Wenn Scham den Alltag bestimmt

Heute ist es passiert. Jemand sagte zu mir: “Deine Website und dein Instagram Kanal haben noch nicht so viel Traffic!”

Uff, das war ein Schlag in die Magengrube! Obwohl diese Person dies absolut nicht abschätzig meinte und wir uns sehr gut verstanden hatten, kam sofort ein Gefühl auf: Scham!

Ich schämte mich, dass ich die letzten Monate nicht so viel erreichen konnte, wie ich mir vorgenommen hatte. Sofort öffnet sich ein inneres Gespräch mit mir selbst, womit ich mich selbst zu besänftigen versuche: “Du hattest einen Todesfall! Du bist umgezogen in eine neue Region! "Da waren so viele Veränderungen!” – Ja, es stimmt. Da war viel, was es mir schwer machte, den Fokus zu halten und beispielsweise diesen Blog aufzubauen. 

Es gab unfassbar viel echten Umbruch und enorme Veränderungen und dennoch fällt es meinem ADHS-Gehirn so schwer, diese legitimen Gründe zu glauben. Glauben schenken nicht im Sinne von intellektuell durchdringen, denn “ich weiß ja, dass jeder mal eine turbulente Zeit hat”, sondern dies mit meinem gesamten Wesen und all meinem Sein zu verstehen und anzunehmen.

Stattdessen arbeitet mein overthinking ADHD Brain daran, mich stets daran zu erinnern, “dass ich wieder etwas nicht so geschafft habe, wie ich es mir vorgenommen hatte”

Wenn du ebenfalls ADHS hast, dann stellst du dir bestimmt öfter die Frage: What the fuck? Oder besser:

Wie hängen Scham und ADHS zusammen?

Scham vs. Schuldgefühl

Die Begriffe Scham und Schuld kommen in der psychologischen Beratung oft miteinander vor. 

Wenn beispielsweise jemand ein Verbrechen begeht, hat der Täter Schuld an der Tat, doch ob er sich auch schuldig fühlt, ist ein andere Frage. 

Ein Schuldgefühl ist eine soziale Emotion, welche bewusst oder unbewusst einer Fehlreaktion, Pflichtverletzung oder Missetat folgen kann. Hier spielen Normen, Regeln und Werte oft eine wichtige Rolle, denn je nach persönlicher Auslegung dieser Normen, kannst du mehr oder weniger Schuldgefühl wahrnehmen. Schuldgefühle entstehen, wenn eine Handlung als negativ bewertet wird.

Scham hingegen ist eine emotionale Reaktion, wenn du dich selbst als negativ bewertest. Es gibt hier verschiedene Abstufungen: von der Situation im Sportunterricht, wo du dich vielleicht nicht vor deinen Klassenkameradinnen umziehen wolltest, über das peinliche berührt sein bei einem Flirtversuch, bis hin zum Fremdschämen.

Doch es gibt eine Form der Scham, die vor allem bei ADHS ziemlich stark wirkt:

Die Urscham oder elementare Scham

Der Psychoanalytiker Leon Wurmser schreibt:

„Die radikalste Scham ist es schließlich doch, sich selbst der Liebe anzubieten und als liebensunwert verstoßen zu empfinden – sich als nicht der Liebe und damit der wesentlichsten Achtung würdig zu wissen. Man wird dabei nicht gesehen, fühlt sich in dieser Individualität unsichtbar, des Respekts beraubt.“

Dieser Satz berührt mich ungemein, da ich weiß, wie viele ADHSlerinnen sich oft unverstanden und ungesehen fühlen, und wie gleichermaßen der Selbstwert so leiden kann, dass Betroffene sich selbst jegliche Form der Selbstliebe verweigern.

Entstehungsgeschichte der ADHS-Scham

Als Frau mit ADHS ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass du schon sehr häufig für dein Verhalten, deine Äußerungen oder dein Sein getadelt oder beschämt wurdest. Dies geschieht bei den meisten bereits im Kindesalter. Eine ADHS-Schülerin hört in ihrem Schulleben Tausende kritische Bemerkungen - von Lehrer*innen, den Eltern, der Familie und Freund*innen. Dass dies seelische Wunden hinterlässt, steht außer Frage. 

ADHS Kinder ecken oft an und obwohl ihnen aufgrund ihrer ausgeprägten Sensibilität oft sehr früh bewusst wird, dass etwas irgendwie anders läuft, können sie kaum neue oder andere Verhaltensweisen entwickeln. Dennoch werden sie nicht müde, bei dem Versuch “neue Wege” zu finden, um Akzeptanz zu finden. Leider ist der Weg als ADHS-Kind nicht immer von Erfolg gekrönt und irgendwann wird auch das fröhlichste Wesen traurig und betrübt.

In der Folge werden Kinder entweder oft trotzig und jähzornig, oder sie ziehen sich komplett zurück und verzweifeln innerlich. Ich persönlich kenne beide Szenarien sehr gut aus meiner Kindheit und Jugend. Dass wir dieses ständige Gefühl von Scham und dem damit verbundenen Gedanken “Ich bin falsch” meiden wollen, ist aus Sicht des Selbstschutzes super sinnvoll. Irgendwann hat es mir einfach gereicht. Ich hatte dieses ganze Affentheater, um irgendwie bei anderen zu landen, sowas von satt. 

Vielen ADHSlerinnen geht es so, nur leider sind dann bereits derart viele seelische und traumatische Verletzungen entstanden, dass diese kleine Stimme im Inneren selbst glaubt, dass man falsch ist. Als Erwachsene resultiert dies in einer Leistungsgesellschaft, wie der unseren, oft in einem inneren Kampf mit dir selbst, um den Selbstwert mittels Leistung und Performance zu erhöhen.

Leistung, Scham, Leistung, Scham

Um anerkannt und akzeptiert zu sein, musst du etwas leisten.

Schaffen, schaffen, schaffen! 

Dieser Glaubenssatz ist für viele von uns wie in Stein gemeißelt. Doch für uns neuro-spicy ADHSlerinnen ist es viel anstrengender Leistung zu erbringen und Erfolge zu feiern in einer Gesellschaft, die von und für neurotypische Menschen gemacht wurde. Es gibt also bereits mehrere strukturelle Hürden, denen neurodiverse Frauen gegenübertreten müssen. Als Frau mit ADHS musst du dich um ein Vielfaches mehr ins Zeug legen, um dasselbe Resultat wie deine “normale” Freundin zu erreichen. Über Jahre hinweg versuchst du also dich einfach so krass anzustrengen, bis du an dem Punkt gelangst, wo du dich fragst: “Was ist eigentlich falsch mit mir? Warum scheinen andere dies alles mühelos zu meistern?” Und schon macht sich wieder die Scham breit, die wieder am eigenen Selbstwert gräbt. Fatalerweise entscheiden sich viele ADHS-Betroffene “einfach noch härter zu arbeiten”, doch hierdurch wird der innere Druck, etwas leisten zu müssen, und der Glaube, “man könne es ja doch nicht” nur weiter verstärkt. Und so beginnt der Teufelskreis wieder von vorne.

Be a cycle breaker!

Doch wie kommst du aus diesem Teufelskreis aus Scham, Leistung, Stress und Perfektionsstreben heraus?

Meine Empfehlung ist hier ganz klar ein dreiseitiger Ansatz, wodurch du den Teufelskreis mit verschiedenen Methoden und Interventionen auf Körper, Geist und Seele (also auf somatischer, mentaler und emotionaler Ebene) durchbrichst. Wenn du mehr über diesen Ansatz wissen möchtest, lies hier weiter.


Wenn dein Stressempfinden stark oder extrem erhöht ist, (alles über einer 8 von einer Stress-Skala von 1-10), solltest du die Notbremse ziehen. Wie das für dich konkret aussieht, hängt vom jeweiligen Kontext ab. Wenn dein Tag sehr stressig ist, könnte es bedeuten, in die Natur zu gehen und die Stress verursachenden Aktionen sofort zu stoppen. Wenn du bereits Tage, Wochen oder sogar Monate unter extremem Stress leidest, kann es bedeuten, dich krank zu melden, deinen Hausarzt zu besuchen oder Urlaub zu nehmen.

Als ADHSlerinnen haben wir grundsätzlich einen höheren Sympathikotonus. Dies bedeutet, unser “fight-flight” Nervensystem ist eher überaktiv und wir sind eher mal angespannt. Doch diese Anspannung kann auch schnell zu viel werden, wodurch eine starke Überforderung einsetzen kann. Leider kann es passieren, dass wenn du dir eine Pause oder Urlaub gönnst, du dich gar nicht so wirklich entspannen kannst. Das ADHS-System ist Anspannung so gewohnt, dass Entspannung auf somatischer Ebene bedrohlich wirkt. Bedrohlich dahingehend, dass Entspannung und “Nichtstun” oft zu Gedankenspiralen und Grübeleien führen und diese wiederum dann auch Ängste auslösen können. Dennoch ist es wichtig, deinem Körper beizubringen, wieder in Ruhe zu vertrauen. Wie das geht, kann ich dir im 1:1 Coaching beibringen. Doch auch zusätzliche Traumatisierungen können dazu führen, dass der Körper nicht entspannen kann.


Auf mentaler Ebene kann es helfen, dir immer wieder klar vor Augen zu führen, dass es einerseits strukturelle Gründe gibt, warum du nicht “mithalten” kannst und dass es dein Wunsch nach Anerkennung über Leistung ist, der dich in das Hamsterrad zwingt. Wenn du diese externen und internen Faktoren für dich verstanden hast, kannst du dein Verhalten besser wahrnehmen und beobachten. Ziel ist es nämlich, dich immer wieder mit dir selbst zu verbinden und dich selbstspürend zu fragen: “Was ist der momentane Ursprung meines Strebens? Habe ich ehrliche Freude daran oder versuche ich etwas anderes zu erreichen?” Es ist tatsächlich sehr spannend, wie oft ich mich selbst dabei erwische, wie ich in diesen perfektionistischen Modus zu verfallen drohe. Hier hilft mir ein laut ausgesprochenes STOPP zu mir selbst oder auch gerne mal eine liebgemeinte Standpauke.


Sobald du auf emotionaler Ebene ein Schamgefühl wahrnimmst, kann es sein, dass sofort ganz viele Dinge auf einmal passieren: dein ADHS-Gehirn fängt an zu grübeln und du hinterfragst einerseits dich selbst und deine Kompetenz und andererseits fragst du dich vielleicht, warum Scham “immer noch” bei dir auftritt, obwohl du doch schon so lange an dir selbst arbeitest. Sollte diese oder eine vergleichbare Gedankenspirale einsetzen, hilft es dir selbst etwas zu sagen wie: “Ich merke gerade, wie ich meine Scham beurteile und auch mich selbst.” Es geht in erster Linie darum zu beschreiben, was gerade innerlich bei dir passiert, dabei kannst du auch körperliche Erfahrungen beschreiben. Selbstwahrnehmung in dieser Form holt dich sofort in die Gegenwart zurück und erdet dich. Eine Emotion ist normalerweise innerhalb von zwei Minuten verarbeitet, es sei denn wir klammern uns an sie durch eine Geschichte oder unseren Körper. Die Scham als solche ist zunächst ein Gefühl, wie jedes andere, und darf auch gefühlt werden. Ein achtsamer und sanfter Umgang mit dir selbst hier ist was du im ADHS Coaching bei mir lernen kannst.

Be a cycle breaker.

Be a cycle breaker.

Kurzgesagt:

Die Reise durch die Verstrickungen von ADHS und Scham ist eine komplexe und oft schmerzhafte. Doch in der Auseinandersetzung mit diesen Gefühlen liegt auch die Möglichkeit zur Selbstakzeptanz.

Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass Scham und Schuldgefühle zwar auftreten können, aber nicht unbedingt rational begründet sind. Vielmehr sind sie oft das Ergebnis von tief verwurzelten Überzeugungen und gesellschaftlichen Normen, denen wir uns unterworfen fühlen.

Der Weg aus dem Teufelskreis von Leistung, Scham und Selbstzweifeln erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise. Es bedeutet, sich selbst auf körperlicher, mentaler und emotionaler Ebene anzunehmen und zu verstehen, dass die eigene Wertigkeit nicht von äußeren Leistungen abhängt.

Sei sanft mit dir selbst und erlaube dir, deine Gefühle zu fühlen, ohne dich von ihnen überwältigen zu lassen. Erlaube dir, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen, anstatt dich selbst zu verurteilen.

Und vor allem: Sei ein Cycle Breaker! Breche aus dem Teufelskreis aus und gestalte dein Leben nach deinen eigenen Maßstäben. Du bist einzigartig und wertvoll, genau so, wie du bist.

Lass uns gemeinsam daran arbeiten, die Scham zu überwinden und ein Leben voller Selbstliebe, Akzeptanz und Erfüllung zu führen.

 
Kate

ADHD Coaching for creative and successful women

https://unfoldwithkate.com
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ADHD: When shame reigns your day

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Wieso ein ADHS Coaching sinnvoll ist